Nathalia Laue, Einführungsrede zu „kazzenfuge“, Alte Reception Kronberg, 2010.

Almut Aue ist Künstlerin. Sie ist Malerin, Lyrikerin und – nach meinem Dafürhalten auch – Musikerin.

Geboren wurde sie in der thüringischen Universitätsstadt Jena, die wie kaum ein anderer Ort in Deutschland Heimat großer Persönlichkeiten der Kunst- und Geistesgeschichte ist und noch heute von deren Erbe und Aura geprägt wird. In dieser kulturhistorisch bedeutsamen Gegend hat Almut Aue ihre Kindheit verbracht, bis sie als junge Frau nach Hessen kam, wo sie in Kassel ihr Abitur machte und später in Frankfurt Malerei und Kulturwissenschaften studierte.

Als bildende Künstlerin arbeit Almut Aue heute in den unterschiedlichsten Techniken. Sie malt mit Acryl und Aquarell, zeichnet mit Graphit und Kreide und collagiert mit kolorierten Papieren und wenigen ausgewählten alltäglichen Materialien.
Almut befasst sich gerne intensiv mit einer Thematik. So entstehen ihre Arbeiten meist in Serien. 2007 wurde eine expressive Serie von Flügel-Bildern in Frankfurt ausgestellt – der Flügel, die Musik – ein immer wiederkehrendes Lieblingsthema der Künstlerin, das auch dieser Ausstellung heute zu Grunde liegt.
Neben der Musik spielt die europäische Literaturgeschichte eine wichtige Rolle für das bildnerische Schaffen Almut Aues. So widmet sie sich etwa in einer ihrer Serien dem Maskenspiel der Commedia dell’arte, ein andermal ausgewählten Novellen aus dem Decameron von Boccaccio. Aber auch scherzhaft ironische Inhalten wie etwa die „Metamorphose eines Wurms“ oder der „Gummibärchenblues“ interessieren die Künstlerin. Mit der Landschaft ihrer Kindheit setzt sich die gebürtige Thüringerin in den „thüringischen Sequenzen“ auseinander.

Die Aquarelle der Serie KAZZENFUGE, die wir heute Abend intensiv betrachten dürfen, sind die Frucht einer langjährigen künstlerischen wie emotionalen Auseinandersetzung mit jenem faszinierenden geschmeidigen Lebewesen, das wie kaum ein anderes Tier seit Jahrtausenden den Menschen begleitet und bereichert. Die Liebe und der Respekt der Malerin für dieses unabhängige und selbstbewusste, flinke und eigensinnige, aber dennoch anschmiegsame und einfühlsame – und wunderschöne – Tier, spricht aus jedem einzelnen der hier ausgestellten Aquarelle.

Mit Ihrer KAZZENFUGE gelingt der Malerin eine außergewöhnliche Symbiose. Sie verschmilzt die Darstellung des Wesens der Katze mit der Darstellung der wesentlichen Aspekte einer musikalischen Fuge. Wie in der musikalischen Fuge, in der alle Stimmen melodisch und rhythmisch unabhängig sind, es aber immer ein Fugen-Thema gibt, gehören die Aquarelle der KAZZENFUGE thematisch unmittelbar zueinander, wirken aber dennoch – wie auch die polyphone Satztechnik – eigenständig für sich und gleichberechtigt nebeneinander.

Das Ergebnis der Verschmelzung dieser Wesenheiten ist eine wunderbar melodiös geschmeidige Abfolge kräftiger bis zarter, teilweise ganz konkreter – betrachtet man die heiteren kalenderblattähnlichen Skizzenblätter – bis angedeuteter Aquarelldarstellungen und Collagen.

Nicht von ungefähr rührt die Wahl der Aquarelltechnik für die Katzen-Serie. Diese Technik erfordert äußerste Kunstfertigkeit, nichts ist korrigierbar, jeder Pinselstrich muss korrekt auf dem Blatt sitzen. Mit dieser Präzision geht aber auch eine besondere Leichtigkeit einher, eine Leichtigkeit, die an die federnden Bewegungen einer Katze ebenso erinnern wie an den musikalischen Ablauf einer Fuge.

Almut Aue widmet sich hier nicht dem gängigen Sujet des Katzenporträts. Ihre Aufmerksamkeit gilt dem Wesen, der Katze. Man könnte vielleicht sagen, sie widmet sich in platonischem Sinne dem Urbild der Katze, welches einer individuellen Wirklichkeit zugrunde liegt.

Von beinahe schon naturalistischen Studien, wie es die farbfrohen Skizzenblätter zuweilen sind, führt die Serie der Kazzenfuge hin zu einer immer weiter gesteigerten Vereinfachung der Form, die durch ihre Klarheit das Wesen der Katze zu verdeutlichen vermag. Katzen sind Wesen, die sich durch Flucht in Sicherheit bringen, immer flüchten sie sofort vor lauernden Gefahren. Und da fällt uns ein: Der Begriff des musikalischen Kompositionsprinzips Fuge ist dem lateinischen Wort „fuga“ – Flucht, entlehnt.

Die besonders reduzierten, „flüchtigen“ Darstellungen dieser Serie markiert Almut Aue zu den Bildrändern hin gerne mit einem formal äußerst strengen Kontrapunkt – mit einem schwarzen, teilweise äußerst präzisen, Balken.
Eine so farbstarke Form bedeutet gleichsam Halt und Beengung für das dargestellte Thema, das dargestellte Wesen und steht damit in vehementem Gegensatz zum leichten Farbauftrag des Aquarells und zur behänden Beweglichkeit der Katze. So entwickelt sich hier eine faszinierende Spannung zwischen Inhalt und Form, zwischen malerischer Spontaneität und überlegter kompositorischer Ausführung. – Wobei diese Überlegtheit der Komposition in den Arbeiten mit collagierten Partien überdeutlich wird. Denn die Technik des Collagierens mit ihren vielfältigen Arbeitsschritten lässt und fordert viel Raum für Reflexion.
So ist es dann auch diese Arbeit – die No. 9 aus der Serie, welche vom Betrachter ein hohes Maß an Reflexion verlangt. Hier ist die Technik ganz auf die Collage konzentriert, die dingliche Darstellung ist vollkommen zurückgenommen. Der gesamte Bildmittelraum bleibt der scheinbar leeren Papierfläche vorbehalten. Halt und Begrenzung für diese Fläche und für die Vorstellungen des Betrachters bieten die collagierten Elemente an den Bildrändern. Diese Fragmente wirken wie der Schatten der Katze, beinhalten konsequent die Idee der Katze.

In der überaus geradlinigen Arbeit No. 7 finden wir ein eindrückliches Beispiel für die Bildraumbegrenzung.
Mit sicherem Gespür erkundet Almut Aue den Bildraum, teilt die Bildfläche auf und räumt dem zentralen Sujet den gebührenden Platz ein. Durch den hier sehr intensiven Einsatz der Aquarellfarbe sowie durch die Platzierung des zentralen Sujets auf der Achse einer, – man könnte sagen: hoch liegenden Horizontlinie – entsteht eine ganz außergewöhnliche Konzentrierung. Die akribisch waagerecht ausgeführten schwarzen Begrenzungsbalken betonen durch Farbe und Anordnung einmal mehr die Protagonistin dieses Blattes. Wie in einer Momentaufnahme springt die rote Katze durchs Bild, die schwarzen Balken weisen ihr den Weg.
Ihr schlanker geschmeidiger Körper und das schöne Fell sind beeindruckend. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Katze bewegt, wird spürbar und welcher Betrachter erahnt hier nicht das Entschwinden des Tieres, sieht den leeren weißen Bildraum, der zurückbleiben wird, bereits voraus.

So erzählen uns diese leichten, sparsam gestalteten Aquarelle von Almut Aue, in all ihrer Eigenständigkeit, eine Geschichte. Eine Geschichte, die sich in einzelnen Blättern deutlich ablesen lässt, sich in anderen Arbeiten aber einer eindeutigen Lesbarkeit entzieht, eine Geschichte, die sich auf leisen Pfoten unserem gedanklichen Zugriff verweigert. Eine Geschichte von Nähe und Distanz, von Hingabe und Flucht – wohl die Geschichte einer Liebe.

Diesem Wechsel zwischen Nähe und Distanz entspricht der Gegensatz von Energie und Impulsivität und einer sehr gelungenen Rückführung auf das Wesentliche. – Energetisch und impulsiv, so kennen wir die Künstlerin und ihr Werk. Heute zeigt sie uns, welche Kraft in der Reduktion liegt, wie stark sie mit sparsamsten Mitteln formulieren kann. Wie spannend der Weg ist, von der Darstellung des heiteren Katzenbildnisses hin zur Formulierung einer Idee – und diese Die kann für den Betrachter viel mehr oder etwas ganz anderes sein als bloß eine Katze.

© Dr. Nathalia Laue, Galeristin, Kuratorin