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Einführungsvortrag von Hans-Jürgen Döpp zu
ALMUT AUE „nastagio – eine höllenjagd“, Galerie Schamretta, Frankfurt am Main, 20. März – 29. April 2016.


Der Trieb – ein Höllenhund?

Was gleicht den unheimlichen Freuden erfüllter Rache? Deren Flammen können verzehrender sein als die der Liebe. Und wenn Rache im Mord triumphiert, hat der Täter nicht nur sein verfolgtes Objekt, sondern damit auch sich selber zerstört. „Mord aus verschmähter Liebe“ ist ein kriminalistischer Dauerbrenner. Und wenn – wie immer wieder geschieht – ein Mann seine ihn abweisende Geliebte erschießt und danach sich selbst, dann ist das Paar endlich für ewig vereint. Gehören Rachegedanken zu unserem archaischen Erbe? Hass scheint älter zu sein als die Liebe.

Männer, die dem Zwang folgen, Frauen zu bezwingen, sie zu opfern: in dieser Thematik können wir einen inhaltlichen Anknüpfungspunkt der hier ausgestellten Arbeiten von Almut Aue finden. Wir erkennen Hinweise auf Attacken, Verletzungen und animalische Überwältigungen. Ihre gestisch-expressiven Zeichnungen, mit impulsiver, energiegeladener Hand skizziert, mit tanzendem suchendem Zeichenstift, haben als relativ abstrakte Arbeiten durchaus einen ästhetisch-eigenständigen Charakter. Es lassen sich aber auch Brücken zu Antoni Tàpies schlagen, zu André Masson, zur peinture automatique, die aus dem Unbewussten schöpft.

Aues Zeichnungen speisen sich aus vehementen Emotionen. Doch deren Quellen lassen sich nur ganz verstehen, wenn wir in den Brunnen der Vergangenheit hinabtauchen. Über mehr als 500 Jahre hinweg treten diese quasi „bildungsträchtigen“ Zeichnungen in einen Dialog mit zwei Werken der Renaissance ein. Almut Aues Arbeiten sind eine Resonanz auf ein literatur- und kunstgeschichtliches Thema von permanenter Aktualität. Damit sind sie zugleich von emotionaler wie auch von intellektueller Qualität.-
Eine unheimliche, zugleich spannende Geschichte erzählt uns Boccaccio in seinem Novellen-Zyklus „Dekamerone“, der vor mehr als 650 Jahren erschien.

Nastagio, ein adeliger junger Mann, bewirbt sich um die Liebe einer Dame aus dem Hause Traversari, ohne Gegenliebe zu finden. Die Schönheit der jungen Frau ließ sie hochmütig und hartherzig werden. In dem Maße, in dem seine Hoffnung abnahm, wuchs aber seine Liebe. Soll er sich aus Schmerz das Leben nehmen?! Seine Freunde rieten ihm, Ravenna zu verlassen. Sein Weg führt ihn nach Chiassi. Doch eines Tages, als er wieder ganz in Gedanken an die grausame Geliebte versunken war, befahl er seinen Leuten, ihn alleine zu lassen, um ungestörter seinem Trübsinn nachhängen zu können. Er gelangte in einen Pinienwald. Dort vernahm er das Weinen und Wehklagen eines Weibes, und er erblickte ein wunderschönes nacktes Mädchen mit fliegenden Haaren, das von zwei riesigen, wütenden Jagdhunden verfolgt wurde. Hinterher jagte ein Ritter, der mit dem Degen in der Hand drohte, diese junge Frau zu ermorden.

Nastagio stellte sich dem Ritter entgegen und will das Weib verteidigen. Der Ritter aber entgegnete: „Lass` mich vollbringen, was dieses Weib verdient hat!“ Hochmütig und hart sei sie gewesen, sodass er sich entleibte und deshalb zu ewiger Pein verdammt sei. (Selbstmord galt als Todsünde!) Doch bald darauf starb auch sie, und wegen der Sünde der Hartherzigkeit wurde sie gleichfalls zu den Strafen der Hölle verurteilt. Dort wurde ihnen auferlegt, dass sie vor ihm zu fliehen und er sie wie eine Todfeindin zu verfolgen habe. „Sooft ich sie dann erreiche, so oft durchbohre ich sie mit demselben Degen, mit dem ich mich einst umgebracht, öffne ihr, wie du sogleich gewahren wirst, mit dem Messer die Seite, reiße das harte, kalte Herz, in das weder Liebe noch Mitleid den Eingang zu finden wussten, samt den übrigen Eingeweiden aus ihrem Leibe und werfe es den Hunden hier zum Fraße vor. Dann vergehen nur wenige Augenblicke, und sie ersteht nach Gottes gerechtem Ratschluss durch seine Allmacht nicht anders vom Boden, als ob sie nie getötet worden wäre, und danach beginnen die klägliche Flucht durch mich und die Hunde von neuem. Da geschieht es denn, dass ich sie jeden Freitag um diese Stunde an diesem Platz einhole und so misshandle, wie du sehen wirst“.
Nastagio tritt nach diesen Worten zurück, der Ritter stürzt sich auf das Mädchen, erdolcht es und öffnet mit einem Messer die Seite, um sie auszuweiden. Heißhungrig verschlangen seine Hunde die Innereien. Doch kurz nur darauf erhob sich das Mädchen, als sei nichts geschehen, und Flucht und Verfolgung begannen von Neuem.
Hier – eine diagnostische Zwischenbemerkung. Nehmen wir diese Szene als eine Vision Nastagios: Die Zurückweisung ist für ihn eine Ich-Katastrophe. Die Depression, in die er, der Gedemütigte, sich zurückzog, verwandelte sich hier in Aggression. Der Ritter ist quasi ein Doppelgänger seines Schicksals; über seine Rachephantasien kann Nastagio seine Demütigung kurzfristig in einen Triumph verwandeln. Doch muss die Untat endlos wiederholt werden, da die Phantasie das Trauma nicht aufhebt. Der „Täter“ bleibt unerlöst, die Rache rächt sich am Rächenden.

Evident ist der sexuelle Charakter der Untat: jeden Freitag muss die grausame Geliebte mittels des Degens – einer phallische Aggression – sich einer unentrinnbaren Dauerpenetration unterwerfen, – um dann wieder aufzuerstehen. Das verdammte Paar hat das Ziel aller Liebenden erreicht: als duale Einheit ist es auf ewig vereint. –
Wie aber geht Boccaccios Geschichte weiter? Nastagio macht das visionäre Ereignis sich zunutze, indem er es quasi didaktisch fruchtbar macht. An gleicher Stelle im Wald arrangierte er, wiederum an einem Freitag, ein großes Essen, zu dem auch seine hartherzige Geliebte eingeladen wurde. Und tatsächlich: wieder vernahm man das Geschrei des gejagten Mädchens, und mit gleichen Worten erzählte der Ritter seine Geschichte, bevor er seine grausame Handlung ausführte.

Die Gesellschaft war erschüttert. Vor allem aber war Nastagios grausame Geliebte entsetzt, da sie sich selber in der Geschichte erkannte. Ihr Schrecken vor einem ähnlichen Schicksal führte einen Sinneswandel herbei, verwandelte ihren Hass in Liebe, sodass sie endlich bereit ist, Nastagio zu heiraten. Boccaccio endete die Novelle mit dem Satz: „Es hatte aber jenes Ereignis nicht nur diese eine glückliche Folge, sondern alle Damen Ravennas wurden dadurch so eingeschüchtert, dass sie den Wünschen der Männer seitdem um vieles geneigter geworden sind als zuvor.“-

Der Widerspenstigen Zähmung: Diese Androhung bestimmte auch das Motiv eines vierteiligen Bilderzyklus von Botticelli, der Boccaccios Erzählung illustriert. Diese Tafeln unter dem Titel „Das Gastmahl des Nastagio degli Onesti“ wurden 1483 bei Botticelli als Hochzeitsgeschenke für Gianozzo Pucci und seine Gattin in Auftrag gegeben. Als Dekor eines Hochzeitsgemachs zeigen sie eine Venus, die „in ewiger Ermordung ergeht“ (Didi-Huberman).

Diese Tafeln einer „höllischen Jagd“ nun sind Ausgangspunkt der Zeichnungen von Almut Aue. Mit impulsivem Strich zeigt sie die Leidenschaft im Rohzustand und ent-ästhetisiert, was der einstige Goldschmied Botticelli verklärte. Männer, die die Schönheit morden, werden unter der weiblichen Kompetenz der Künstlerin zu Ungestalten. Derart destruiert sie das Lustprivileg des Mannes in der patriarchalischen Gesellschaft: In einer Manier, die zuweilen an Kinderzeichnungen erinnert, zeigt sie das Regressive der männlichen Haltung, die die begehrte Frau aufs Opfer reduziert. Das reziproke Gegenstück zur Opferung wäre die Opferhaltung der Frau, die sich diesen Männern unterwirft. Almut Aues Zyklus ist insofern auch eine feministische Invektive gegen die weibliche Opferhaltung.

Ob es die adelige Tischgesellschaft ist, vor der Nastagio seinen bösen Traum inszeniert; ob es der Familientisch ist, an dem gerade ein Ehrenmord beschlossen wird, oder ob es der Stammtisch ist, an dem man auf Kosten der Frauen Witze reißt: Es ist der männliche Trieb, den Almut Aues aggressive Stenogramme in seiner Rohheit entlarven.

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Aus Brigitta Amalia Gonsers Einführungsrede zur Vernissage, Gallus Theater, 2015.

Sie hat sich eben selbst kryptisch (mit eigenem Text) vorgestellt.
Begrüßen Sie mit mir die vielseitig talentierte Frankfurter Künstlerin Almut Aue im Foyer des Gallus-Theaters, wo sie schon 1995/96, damals noch in der Kriftelerstraße, die Ausstellung “as the ceiling flew away“ gezeigt hat. In Jena geboren, absolvierte sie nach einem Studium der Malerei an der Frankfurter Städelschule, bei Prof. Lammeyer und Prof. Battke , anschließend ein Studium der Kulturwissenschaften an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Es folgten eine Lehrtätigkeit an einer Frankfurter Gesamtschule und vor allem zahlreiche Studienaufenthalte in Frankreich, Italien, Griechenland, Nicaragua, Guatemala, Honduras, Tunesien, New York.
Seit 1990 stellt sie kontinuierlich in mehreren Frankfurter Galerien aus.
In den letzten zehn Jahren ist sie vor allem im Ausstellungsraum Eulengasse aktiv, dessen langjähriges Mitglied sie ist.
Einzelausstellungen hatte sie aber auch in Villingen-Schwenningen, Bad Homburg, Offenbach, Neu-Anspach/Ts., Darmstadt und Eschborn.

Almut Aue ist primär Malerin, aber ebenso auch Zeichnerin und Lyrikerin.

Zwei zeitnah entstandene, miteinander kommunizierende und zugleich stilistisch komplementäre Serien in Acryl auf Leinwand stellt Almut Aue jetzt in dieser Ausstellung im Foyer des Frankfurter Gallus-Theaters aus, dabei treffen malerische auf graphische Strukturen.
Sie wählte dafür den metaphorischen Titel „schwarzbrechen“, als Verweis auf ihre hier explizit werdende malerische Intention, das Absolute der Farbe Schwarz und deren konnotativen Symbolgehalt zu brechen.

Die Frage, ob Schwarz Farbe oder Nichtfarbe sei, haben sich Künstler immer wieder neu gestellt. Für Renoir war sie “die Königin der Farben”, für Kandinsky die “klangloseste Farbe“, für Pierre Soulages, den “Maler des Schwarzen”, brachte sie die “Inthronisierung des Lichts“, für Henri Matisse bedeutete sie schlicht “die Farbe des Lichts” und Kasimir Malewitsch schuf mit seinem kleinen schwarzen Quadrat auf weißem Untergrund eine Ikone der abstrakten Malerei.
Auch die nordamerikanischen abstrakten Expressionisten Willem de Kooning, Jackson Pollock, Barnett Newman, Robert Motherwell, Mark Rothko und Ad Reinhardt integrierten Schwarz in ihre Malerei.
Dabei ist Schwarz physikalisch gesehen keine eigene Farbe, weil sie durch die Absorption aller Spektren des Lichts eigentlich die Abwesenheit von Farben repräsentiert.
Almut Aue ist auf der Suche nach dem mentalen Feld des metaphysischen Schwarz, nach dem was Pierre Soulages “Outrenoir”, das jenseitige Schwarz, nennt.
Wie er, geht sie auch davon aus, dass Malerei ein Feld ist, in dem sich Formen organisieren und wieder auflösen.
Dabei gelangt Almut Aue zu einer lyrischen Abstraktion.

So können wir beim Betrachten ihrer Bilder auch eine spirituelle Erfahrung machen. Oder wir stehen irritiert vor der unbewussten Anziehungskraft des ewig Weiblichen. Denn Schwarz materialisiert sich bei ihr sowohl in suggeriert plastischer Figuration als auch in amorpher Abstraktion.
Dazu assoziieren sich leuchtende Farben: Blau, Rot, Pink.
Sicher gehört Schwarz, wie Weiß und Grau, zu den unbunten Farben. Schwarz aktiviert aber andere Farben, es macht sie heller und klarer.
So den dünnen pinkfarbenen Faden, der den großen schwarzen Block ironischerweise zu sprengen droht.
Während die bedrohliche Schrägstellung eines weiteren großen schwarzen Feldes die dunkle Seite der menschlichen Seele zu berühren scheint.
Schwarz ist in ihren Bildern die aktivste Farbe.
Und in ihrem kleinformatigen Triptychon treten die abstrakten schwarzen Formen zueinander in einen schwebenden Dialog.

Aber diesen malerischen Arbeiten gingen jene der graphischen Serie voraus, auf denen sich chaotische schwarze, graue und pinkfarbene Linienstrukturen zu einem kraftvollen expressiven Kosmos ordnen.
Wobei die Teile des Quadriptychons miteinander kommunizieren und die schwarzen Linienknäule von einem hellblauen Feld getragen werden.
Die Assoziationen, die diese Bilder beim Betrachter hervorrufen sind ebenso ambivalent wie die Farbe Schwarz in der Magie, in Religion und Mythos.
Wahrscheinlich bändigt aber Almut Aue darin auch aufkommende Aggressionen gegen den nervigen Baulärm in ihrem Feriendomizil bei Como, in Italien, 2013, wo diese beiden hier gezeigten Serien entstanden sind.
Letztlich relevant bleibt, dass Almut Aue mit großer Sensitivität und kreativem Enthusiasmus zu Werke geht und ihre bildkünstlerische Abstraktion in ihren gestisch freien Kompositionen sichtbar steigert.

Wir wünschen ihr damit weiterhin viel Elan!

 

Brigitta Amalia Gonser ist Kunstwissenschaftlerin.

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Almut Aue „viel zeugs“,
Ausstellungsraum Eulengasse, 02. – 25.11.2012.
Vernissage und Performance am 02.11.2012.

 

Einführungsrede: Brigitta Amalia Gonser, Kunstwissenschaftlerin

Almut Aue gibt vor, mit ihrem Collage-Material zu spielen. Sicherlich hat sie einen spielerischen Ansatz. Wenn man sich die Collagen ansieht, könnte man meinen, dass es zufällig und auch verspielt sei. Ist es aber nicht. Denn sie konstruiert ihre Bildkompositionen aus dekonstruierten Elementen: dazu zerstört, zerreißt sie eigene oder gefundene Bilder, also objets trouvés, und spielt puzzleartig mit den farbigen Papierfetzen, wobei sie stets gezielt überraschende Spannungsmomente mit einbaut.

Almut Aue komponiert ihre Collage-Bilder nicht mit abgestuften Farbnuancen, sondern mit kräftigen Farbkontrasten. Sie werden in dieser Ausstellung immer wieder einem farblichen Kontrastpaar begegnen: und zwar schwarz und rot oder orange. Das sind zwei sehr starke Farben, die aufeinanderstoßen. Und das Interessante dabei ist, dass sie das Schwarz umfunktioniert. Sie schafft damit Tiefe. Sie schafft Raum aus Schwarz. Sie geht so weit, dass sie auf die schwarzen Flächen Fußabtritte hinterlegt und so den Betrachter mit ins Bild hineinzieht. Und sie geht vorsichtig damit um, so dass die Figuren, die assoziativ sind und keine figürlichen Strukturen aufweisen, eine Bewegungsspannung haben. Bewegung und Spannung werden gegeneinander ausbalanciert.

Häufig arbeitet sie, was ich sehr schön finde, mit Bildelementen aus eigenem Zeichenmaterial. Sie setzt diese fragmentarischen Zeichnungen quasi so ein, als seien es Reproduktionen von Almut Aue. Sie zitiert sich sozusagen selbst. Und das Interessante dabei ist, dass sie eine sehr musikalische Stimmung schafft. Es ist eine Stimmung vorhanden, die besonders gut zum Ausdruck kommt, wenn wir uns die drei Arbeiten dort vorn betrachten, die zusammen ein richtiges Triptychon bilden. Die spannungsvolle Zuordnung von kleinteiligen und großflächigen Elementen und deren Farbklang verleihen den Collagen Rhythmus. Das ist gewollt. Es ist auch gewollt, dass sie einige der orangenen und schwarzen Figuren im letzten Moment abgerissen und wieder neu konstruiert aufgeklebt hat. Die Figuren bewegen sich voneinander weg und aufeinander zu. Auf diese Weise ergeben sich interessante Überlappungen. Sie schiebt die Papiere raffiniert unter- und übereinander und überlappt sie dann noch einmal erneut. Man kann sehen, wie sie mit Worten und mit Buchstaben, aber auch mit grafischen Elementen konstruiert. Zwei ihrer Collagen haben mit ihren schwarzen Netzstrukturen etwas ausgesprochen Konstruktivistisches.

Was ist Collage? fragen wir uns vor diesen farbenprächtigen Arbeiten von Almut Aue.
Max Ernst definiert es 1962 in seinen „biographischen Notizen“ folgendermaßen:

“Collage-Technik ist die systematische Ausbeutung des zufälligen oder
künstlich provozierten Zusammentreffens von zwei oder mehr wesens-
fremden Realitäten auf einer augenscheinlich dazu ungeeigneten Ebene
– und der Funke Poesie, welcher bei der Annäherung dieser Realitäten
überspringt.“

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Nathalia Laue, Einführungsrede zu „kazzenfuge“, Alte Reception Kronberg, 2010.

Almut Aue ist Künstlerin. Sie ist Malerin, Lyrikerin und – nach meinem Dafürhalten auch – Musikerin.

Geboren wurde sie in der thüringischen Universitätsstadt Jena, die wie kaum ein anderer Ort in Deutschland Heimat großer Persönlichkeiten der Kunst- und Geistesgeschichte ist und noch heute von deren Erbe und Aura geprägt wird. In dieser kulturhistorisch bedeutsamen Gegend hat Almut Aue ihre Kindheit verbracht, bis sie als junge Frau nach Hessen kam, wo sie in Kassel ihr Abitur machte und später in Frankfurt Malerei und Kulturwissenschaften studierte.

Als bildende Künstlerin arbeit Almut Aue heute in den unterschiedlichsten Techniken. Sie malt mit Acryl und Aquarell, zeichnet mit Graphit und Kreide und collagiert mit kolorierten Papieren und wenigen ausgewählten alltäglichen Materialien.
Almut befasst sich gerne intensiv mit einer Thematik. So entstehen ihre Arbeiten meist in Serien. 2007 wurde eine expressive Serie von Flügel-Bildern in Frankfurt ausgestellt – der Flügel, die Musik – ein immer wiederkehrendes Lieblingsthema der Künstlerin, das auch dieser Ausstellung heute zu Grunde liegt.
Neben der Musik spielt die europäische Literaturgeschichte eine wichtige Rolle für das bildnerische Schaffen Almut Aues. So widmet sie sich etwa in einer ihrer Serien dem Maskenspiel der Commedia dell’arte, ein andermal ausgewählten Novellen aus dem Decameron von Boccaccio. Aber auch scherzhaft ironische Inhalten wie etwa die „Metamorphose eines Wurms“ oder der „Gummibärchenblues“ interessieren die Künstlerin. Mit der Landschaft ihrer Kindheit setzt sich die gebürtige Thüringerin in den „thüringischen Sequenzen“ auseinander.

Die Aquarelle der Serie KAZZENFUGE, die wir heute Abend intensiv betrachten dürfen, sind die Frucht einer langjährigen künstlerischen wie emotionalen Auseinandersetzung mit jenem faszinierenden geschmeidigen Lebewesen, das wie kaum ein anderes Tier seit Jahrtausenden den Menschen begleitet und bereichert. Die Liebe und der Respekt der Malerin für dieses unabhängige und selbstbewusste, flinke und eigensinnige, aber dennoch anschmiegsame und einfühlsame – und wunderschöne – Tier, spricht aus jedem einzelnen der hier ausgestellten Aquarelle.

Mit Ihrer KAZZENFUGE gelingt der Malerin eine außergewöhnliche Symbiose. Sie verschmilzt die Darstellung des Wesens der Katze mit der Darstellung der wesentlichen Aspekte einer musikalischen Fuge. Wie in der musikalischen Fuge, in der alle Stimmen melodisch und rhythmisch unabhängig sind, es aber immer ein Fugen-Thema gibt, gehören die Aquarelle der KAZZENFUGE thematisch unmittelbar zueinander, wirken aber dennoch – wie auch die polyphone Satztechnik – eigenständig für sich und gleichberechtigt nebeneinander.

Das Ergebnis der Verschmelzung dieser Wesenheiten ist eine wunderbar melodiös geschmeidige Abfolge kräftiger bis zarter, teilweise ganz konkreter – betrachtet man die heiteren kalenderblattähnlichen Skizzenblätter – bis angedeuteter Aquarelldarstellungen und Collagen.

Nicht von ungefähr rührt die Wahl der Aquarelltechnik für die Katzen-Serie. Diese Technik erfordert äußerste Kunstfertigkeit, nichts ist korrigierbar, jeder Pinselstrich muss korrekt auf dem Blatt sitzen. Mit dieser Präzision geht aber auch eine besondere Leichtigkeit einher, eine Leichtigkeit, die an die federnden Bewegungen einer Katze ebenso erinnern wie an den musikalischen Ablauf einer Fuge.

Almut Aue widmet sich hier nicht dem gängigen Sujet des Katzenporträts. Ihre Aufmerksamkeit gilt dem Wesen, der Katze. Man könnte vielleicht sagen, sie widmet sich in platonischem Sinne dem Urbild der Katze, welches einer individuellen Wirklichkeit zugrunde liegt.

Von beinahe schon naturalistischen Studien, wie es die farbfrohen Skizzenblätter zuweilen sind, führt die Serie der Kazzenfuge hin zu einer immer weiter gesteigerten Vereinfachung der Form, die durch ihre Klarheit das Wesen der Katze zu verdeutlichen vermag. Katzen sind Wesen, die sich durch Flucht in Sicherheit bringen, immer flüchten sie sofort vor lauernden Gefahren. Und da fällt uns ein: Der Begriff des musikalischen Kompositionsprinzips Fuge ist dem lateinischen Wort „fuga“ – Flucht, entlehnt.

Die besonders reduzierten, „flüchtigen“ Darstellungen dieser Serie markiert Almut Aue zu den Bildrändern hin gerne mit einem formal äußerst strengen Kontrapunkt – mit einem schwarzen, teilweise äußerst präzisen, Balken.
Eine so farbstarke Form bedeutet gleichsam Halt und Beengung für das dargestellte Thema, das dargestellte Wesen und steht damit in vehementem Gegensatz zum leichten Farbauftrag des Aquarells und zur behänden Beweglichkeit der Katze. So entwickelt sich hier eine faszinierende Spannung zwischen Inhalt und Form, zwischen malerischer Spontaneität und überlegter kompositorischer Ausführung. – Wobei diese Überlegtheit der Komposition in den Arbeiten mit collagierten Partien überdeutlich wird. Denn die Technik des Collagierens mit ihren vielfältigen Arbeitsschritten lässt und fordert viel Raum für Reflexion.
So ist es dann auch diese Arbeit – die No. 9 aus der Serie, welche vom Betrachter ein hohes Maß an Reflexion verlangt. Hier ist die Technik ganz auf die Collage konzentriert, die dingliche Darstellung ist vollkommen zurückgenommen. Der gesamte Bildmittelraum bleibt der scheinbar leeren Papierfläche vorbehalten. Halt und Begrenzung für diese Fläche und für die Vorstellungen des Betrachters bieten die collagierten Elemente an den Bildrändern. Diese Fragmente wirken wie der Schatten der Katze, beinhalten konsequent die Idee der Katze.

In der überaus geradlinigen Arbeit No. 7 finden wir ein eindrückliches Beispiel für die Bildraumbegrenzung.
Mit sicherem Gespür erkundet Almut Aue den Bildraum, teilt die Bildfläche auf und räumt dem zentralen Sujet den gebührenden Platz ein. Durch den hier sehr intensiven Einsatz der Aquarellfarbe sowie durch die Platzierung des zentralen Sujets auf der Achse einer, – man könnte sagen: hoch liegenden Horizontlinie – entsteht eine ganz außergewöhnliche Konzentrierung. Die akribisch waagerecht ausgeführten schwarzen Begrenzungsbalken betonen durch Farbe und Anordnung einmal mehr die Protagonistin dieses Blattes. Wie in einer Momentaufnahme springt die rote Katze durchs Bild, die schwarzen Balken weisen ihr den Weg.
Ihr schlanker geschmeidiger Körper und das schöne Fell sind beeindruckend. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Katze bewegt, wird spürbar und welcher Betrachter erahnt hier nicht das Entschwinden des Tieres, sieht den leeren weißen Bildraum, der zurückbleiben wird, bereits voraus.

So erzählen uns diese leichten, sparsam gestalteten Aquarelle von Almut Aue, in all ihrer Eigenständigkeit, eine Geschichte. Eine Geschichte, die sich in einzelnen Blättern deutlich ablesen lässt, sich in anderen Arbeiten aber einer eindeutigen Lesbarkeit entzieht, eine Geschichte, die sich auf leisen Pfoten unserem gedanklichen Zugriff verweigert. Eine Geschichte von Nähe und Distanz, von Hingabe und Flucht – wohl die Geschichte einer Liebe.

Diesem Wechsel zwischen Nähe und Distanz entspricht der Gegensatz von Energie und Impulsivität und einer sehr gelungenen Rückführung auf das Wesentliche. – Energetisch und impulsiv, so kennen wir die Künstlerin und ihr Werk. Heute zeigt sie uns, welche Kraft in der Reduktion liegt, wie stark sie mit sparsamsten Mitteln formulieren kann. Wie spannend der Weg ist, von der Darstellung des heiteren Katzenbildnisses hin zur Formulierung einer Idee – und diese Die kann für den Betrachter viel mehr oder etwas ganz anderes sein als bloß eine Katze.

© Dr. Nathalia Laue, Galeristin, Kuratorin

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Wolfgang F. Klee zur Ausstellung Almut Aue, dunkelbilder (2004).

AN ALMUT…

Dunkle Wolken ziehen übers Heiligtum. Ich schlage ans Hoftor, mein Schlag vermag Tote aufzuwecken, also gewährt man mir Einlass. Der Säulenweg zum Allerheiligsten birgt viele Überraschungen. Hier lauern finstere Gestalten, dort sind furchtbar ausgemalte Schreckbilder aufgestellt. Vielerlei und mancherlei drängt sich mir auf, bizarre Schattenbilder, beunruhigende Zauberstücke. Beim dunklen Schein einer Kerze taste ich mich weiter, bis das grause Dunkel, das Schwarze mich umfängt.

Wo eben noch ein Schattenwesen stand, steht jetzt ein rundlicher, mit Weinlaub bekränzter Mann. Blut schießt mir ins Antlitz, denn er ist nur mit einem Löschblatt bekleidet. Ich heiße Heinz, sagt er, er sei Professor der Zeichenkunst, weswegen er exportiert worden sei. Doch in Wahrheit, sagt er, bin ich ein Licht in der Finsternis.

Kunsthistoriker Hohlfinger, Nomen est Omen, steht in der Hierarchie ganz weit oben. Dieser Mann, einerseits ausgehöhlt, andererseits verholzt, gedenkt unseren Dionysos aus Florenz mittels fettiger Speisen und süßer Weine zu füttern und zu mästen, um ihn dann als Fettmonster der Avantgarde anlässlich einer großen Ausstellung der breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Meisterschüler P.A. wurde hierzu als Fütterer missbraucht.

Jedem Künstler seine Muse! Unter diesem Motto wird die Musenwahl eröffnet. Der Maler von Hase mit den schweren Brüsten leitet das Wahlzeremoniell. Sein Blick und seine Rede sind streng, als er zur Musenschar hinüberdeutet. Und seine Sekretärin, Frau Lockwell, nickt dazu auf ihrem wackligen Sitzgestell. „Ich rate Ihnen, ja ich beschwöre Sie, wählen Sie mit Bedacht, aber wählen Sie richtig, denn eine solche Wahl ist sehr wichtig. Heute haben Sie noch gewunken, morgen sind Sie schon versunken.“ Aber ich habe mir ja Almut längst als Muse auserwählt, jedoch ohne ihr Wissen, denn Almut zieht in den Krieg, um über seine Schrecken zu berichten, und der Mann mit Hut zieht mit.

Die täglichen Luftschutzübungen unter Gebell und Befehl von Hohlfinger haben meine Nerven zerrüttet. Das Runter und Rein in den Luftschutzkeller und das Raus hernach haben meinem Teint geschadet.
Ich bin grau geworden und nicht nur Kopf, sondern auch Sinn ist vor der Zeit gealtert.

Die mysteriösen Leichensäcke, die gefährlichen Beile, die Kalaschnikows und das gesamte Mordinstrumentarium, ja die aus dem Dunkel der Kellerecken herankriechenden Würmer haben zu meiner Entscheidung, das Trainingscamp zu verlassen, maßgeblich beigetragen. Doch Scheiden tut weh, besonders dann, wenn man ein Herz für Musen hat. Und so gestatte ich mir noch einmal einen letzten Blick zurück, bevor ich morgen weiterziehe. Muse und Malerin Almut ist gerade dabei, einen tapferen Kunstsoldaten, der sich nach Feindberührung während einer Foltersitzung Verwundungen am Kopf zugezogen hat, zu versorgen und zu verbinden. Und Heinz, der inzwischen sein Löschblatt abgelegt hat, kämpft verbissen mit einer anderen Muse um seinen Turm.

Wahrlich ergreifende, bleibende Bilder, die sich vor meinem äußeren und inneren Auge entfalten und erst nach und nach, wenn überhaupt, zu verblassen scheinen.

Dank deinem enormen und energievollen Künstlertum, Almut, schreitest du auf einer neuen Bahn, und wohin dein Geist dich auch trägt, die Musen mögen dir, Zeichnerin, Malerin, Muse, bei allen künftigen Produktionen weiterhin treu bleiben und dich sicher ans Ziel geleiten.

GLÜCK AUF!

 

© Wolfgang F. Klee, Künstler, “Exzentriker”, Klosterpresse Frankfurt

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Almut Aue, Bilder & Collagen, 1990 – 1993.
Kaiser-Wilhelms-Bad, Bad Homburg, 06.06.1993.

Einführungsrede von Julius Becke (Auszug)

Almut Aue, wie ich weiß, gibt allerlei Töne von sich, wenn sie malt:
atmet schwer, stöhnt, sicherlich jauchzt sie auch. Legt große Bögen, gern auch rauhes Packpapier, auf den Boden und macht sich über sehr viel Raum her, der sie verschlingen könnte. Der Ausbreitung wegen legt sie in letzter Zeit zwei, drei Bögen nebeneinander. Erlebt nun Grenzen in ihren Bildern und das Vergnügen, diese zu überspringen. Was wir im wirklich Leben schwerlich können, machen wir in der Kunst am liebsten.

Wie hier also Grenzüberschreitung, so kann andernorts Eingrenzung erlebt werden: Linien, aus der Übung figürlicher Zeichenkunst gewagt, umgrenzen, tasten träumerisch, ohne jede Routine, eine Fläche für unsere phantastischen Gestalten.

Und was die Farben anlangt, da leuchtet sie uns heim! Viel Rot. Dem setzt sie gern ein bisschen Gift zu. Dann wird es Pink. Und oft stößt kaltes Blau dazu. Ihr Grün ist eher Naturgewalt als Blätterhauch. Pastell-Töne überhaupt nicht. Dann schon lieber Weiß. In dem ist noch alles möglich.

So sehr der Schwung ihrer Pinselbewegungen aus der Vision von Menschenkörpern kommt, Körpern, die zusammengeraten sind, sich verstoßen, vereinigen, verstören – so sehr reizt sie auch die Statik der Stadtlandschaft, wie als tröstendes Gegenstück. Zwar hochdifferenzierte Wahrnehmungsvielfalt, aber dennoch ein Ort, wo wir vielleicht bleiben könnten. Sie signalisiert das mit ins Bild collagierten Teilen von wo-weiß-woher. Aber dann ist wohl die Stadt doch wieder über sie hereingebrochen, schwarz wie die Eisen des Eiffelturms, der mit uns abstürzt.

Almut Aues Malerei hat äußerste Intensität. Ihr können wir uns schwerlich entziehen.

 

© Julius Becke, Bildender Künstler und Lyriker

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Katalog provokazz, Aquarelle 40 x 40 cm, z.T. collagiert, 2005-2008
Lyrik von Almut Aue, Hadayatullah Hübsch, Uve Schmidt.

Der Katalog wurde anlässlich der Ausstellung “provokazz” in der Galerie Schamretta, Frankfurt a.M., im Jahr 2008 in einer Auflage von 300 Exemplaren gedruckt. Er ist inzwischen vergriffen.
Link zu den Abbildungen: provokazz.

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Katalog wegwerf, 2006, mit einem Textbeitrag von Almut Aue und einem Langgedicht von Hadayatullah Hübsch.

Der Katalog WEGWERF entstand 2006 als Ergebnis eines dreistufigen trash-Projekts Darmstadt/Frankfurt in Zusammenarbeit von Almut Aue mit Hadayatullah Hübsch.

Design und Covergestaltung: Boris Aue.

Auflage: 70 Exemplare, davon die ersten 33 nummeriert und signiert. Der Katalog war umgehend vergriffen. Er wurde 12 Jahre nach seinem Erscheinen in einer kleinen Auflage von 5 Exemplaren für Liebhaber und Sammler nachgedruckt.

Das Original wird heute verschiedentlich im Internet angeboten.

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Katalog dunkelbilder, 2004, mit einem Textbeitrag von Wolfgang F. Klee.
Der Katalog wurde anlässlich der Ausstellung “dunkelbilder” in der Kronberger Galerie Hellhof im Jahr 2004 gedruckt.

Layout und Design: Boris Aue.
Auflage:100 Exemplare (vergriffen)

Link zu den Abbildungen: dunkelbilder.